Verein
Virus, Kriege, Meisterschaften
Pandemie und Spielbetrieb im Spiegel der Vereinsgeschichte
Endlich wieder Fußball. Der Spielbetrieb startete nach pandemiebedingter Unterbrechung. Wieder einmal. Bereits die dritte Saison in Folge leidet der reguläre Spielbetrieb durch Wegfall ganzer Spieltage. Und auch die aktuelle Serie wird ohne die letzten beiden Spieltage zu Ende oder bei erneutem Abbruch (nach 50% der Spiele) in Wertung gehen. Die meisten Mitglieder unserer Fußballfamilie werden sich nicht erinnern an vergleichbares Wegbrechen ganzer Saisonphasen. Gab es das jemals zuvor? Ein Blick in die Historie lässt aufhorchen.
Tatsächlich gab es in der nunmehr 116-jährigen Geschichte des Saalfelder Fußballs vor Corona nur zwei vergleichbare Episoden. Und diese standen in Zusammenhang mit den beiden schrecklichsten Katastrophen des letzten Jahrhunderts, den Weltkriegen.
Von Juni 1914 bis Juni 1915 ruhte jeglicher Spielbetrieb aufgrund des Ausbruchs des 1. Weltkriegs. Eine ganze Serie fiel aus und beendete damals eine erfolgreiche Epoche des gerade einmal acht Jahre jungen Fußballsports in Saalfeld. Umso bemerkenswerter aus heutiger Sicht, dass man trotz des Kriegsgeschehens bis 1918 drei volle Serien ausspielte, obwohl der Spielbetrieb unter ständigen Einberufungen der Spieler zum Militär litt. (1)
Zur längsten Pause des offiziellen Spielbetriebs in der Geschichte kam es im letzten Kriegsjahr des 2. Weltkrieges ab Frühjahr 1945. Die Saalewiesen wurden zum Gemüseanbau freigegeben und die Besatzungsmächte verboten das Fußballspiel zunächst. Erst am 30.9.1945 kam es zu einem ersten, aber inoffiziellen Spiel gegen Goßwitz/Kaulsdorf in Tauschwitz. Am 17.12.1945 wurden alle Saalfelder Vereine aufgelöst und im Februar 1946 die SG Saalfeld (aus MTV/RSV/VfL 06) gegründet. Zu den ersten Spielen der SG kam es am 11.2.1946 gegen Pößneck und am 9.3.1946 gegen Gräfenthal. Die Wiederaufnahme des Pflichtspielbetriebs erfolgte nach einundeinhalb Jahren auf Kreisebene erst am 4.8.1946, welches die SG Saalfeld in Lehesten 9:2 gewann. (2)
Bis zur "Corona-Pause" im Frühjahr 2020 waren es die einzigen großen Unterbrechungen in der hiesigen Fußballgeschichte. Selbst die beiden verheerenden Pandemien des 20. Jahrhunderts führten zu keinen vergleichbaren Einschränkungen.
Während der spanischen Grippe 1918-1920 mit weltweit geschätzten 50 Millionen Todesopfern, die allein 1918 in Deutschland 260 000 Tote forderte (3), wurde der Saisonbetrieb fortgesetzt. Dass auch in unserer Region das Virus wütete, belegen neue Forschungsergebnisse: Das Gebiet des früheren Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt gehörte sowohl 1918 als auch 2020/2021 zur Gruppe der traurigen Spitzenreiter in den pandemiebedingten Todeszahlen. (3) Das unterlassene Fußballspiel gehörte offensichtlich damals noch nicht zu den Gegenmaßnahmen.
Obwohl frühe und rigorose Maßnahmen schon 1918 für eine erfolgreichere Bewältigung der pandemischen Lage historisch belegt sind, bspw. rief man in New York City zum Masketragen mit dem Slogan "lieber lächerlich statt tot" auf, schien man das Thema im Deutschen Reich offenkundig bewusst klein zu halten (Witte). (4) Lediglich Tipps wie regelmäßiges Mundspülen wurde als Mittel gegen die "Naturgewalt" angeraten. Fehlende Meldepflicht, keine abgestimmten Maßnahmen und Planlosigkeit im Bekämpfen der Pandemie sind für Berlin belegt (Witte). Und auch über den Freistaat Preußen bilanzierte man 1920 zum Vorwurf der Behörden, die Pandemie sei "ohne wesentliche Beeinflussung durch systematische Bekämpfungsmaßnahmen" verlaufen. (4) Das könnte dafür sprechen, dass auch in unserer ländlich geprägten Region keine ernstzunehmenden Gegenmaßnahmen ergriffen worden.
Dass die spanische Grippe auch den Fußballspielbetrieb beeinflusste, ist noch nicht weitreichend untersucht worden, aber beispielsweise für den Schweizer Fußball belegt. (5)
Auch Fußballhistoriker Udo Luy, laut Sport 1 und Welt am Sonntag „die Schiedsstelle für alle Streitfälle aus der Steinzeit des Fußballs“ konnte auf Anfrage feststellen, für die Saison 1918/19 in den Sportzeitungen nichts darüber gelesen zu haben.
"Viel Fußball", so Udo Luy weiter, "war aber in Ostthüringen in dieser Saison nicht los, die Klassen wurden recht klein gehalten, um den Vereinen Geld zu sparen, die bei weiten Auswärtsfahrten angefallen wären". Politische turbulente und wirtschaftlich schwere Zeiten prägten das Leben. So gab es bei "Saalfeld 06" 1918/19 wenige Verbandsspiele in einer "Herbstrunde" 1918 und einer Einfachrunde 1919 der "1. Klasse Bezirk 2 Ostthüringen", dafür aber Turniere, Sportfeste, Freundschaftsspiele und größere Feiern. (6) Hinweise auf den Einfluss der Spanischen Grippe waren in den Quellen zum Saalfelder Fußball nicht auszumachen.
Auch die "Asiatische Grippe" 1957/58 und die "Hongkong-Grippe" 1968-70 (12 500 Tote in der DDR) (7) blieben ohne Einfluss auf die Fortsetzung des Spielbetriebs. Auf staatlicher Ebene der DDR veranlasste die Erfahrung der "Hongkong-Grippe" erstmals eine Strategie zur Bekämpfung von Pandemien als Fundament „für eine bevölkerungsweite Prävention“, übrigens lange vor der WHO und der Bundesrepublik. (8)
Die "Corona-Serien" gehen in die Geschichte ein, wenngleich es zu keinem kompletten Ausfall der Verbandsspielserien kam wie im 1. und 2. Weltkrieg. Immerhin fehlte die Rückrunde der Saison 2019/20, Abbruch nach 13 Spieltagen, Wertung durch Quotientenregelung. Und 2020/21 wurde schon nach 7 Spieltagen abgebrochen, was keine Wertung dieser Serie zuließ. Bekanntermaßen folgte die zeitweise Einstellung des Spiel- und Trainingsbetriebs den gesetzlichen Maßnahmen von Bund, Ländern und Kommunen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, der im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt 512 Menschenleben zum Opfer fielen. (9)
Somit lassen sich aus der Historie unseres Spielbetriebs auch Rückschlüsse auf die Entwicklung des gesellschaftlich Umgangs mit Pandemien ablesen.
Wenngleich für die Fußballseele schmerzhaft und umstritten, sind die einschneidenden Corona-Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung Teil eines Fortschritts gegenüber 1918 und 1968. Eine evidenzbasierte, politisch abgewogene und rechtlich legitimierte Strategie tritt anstelle von Verdrängung, behördlicher Unterschätzung und Planlosigkeit.
Fazit der Betrachtung: Vier Pandemien fallen in den Zeitraum der Vereinshistorie seit 1906 und führten im aktuellen Pandemiegeschehen erstmals durch begründete Eindämmungs-Maßnahmen zu Einschnitten. Der offizielle Spielbetrieb ist auf seine lange Distanz gesehen äußerst widerstandsfähig. Der Fußball will immer rollen, auch in harten Zeiten. Die schönste Nebensache der Welt verpasste in 116 Jahren nur zwei Serien. Und: Nie wieder Krieg!
"Corona-Serien": Rückblick und Bilanz des FC Saalfeld
2019/2020 - nach dem 13. Spieltag (23.11.2019 letzter Spieltag der Hinrunde) abgebrochen, Die Rückrunde wurde nicht wieder fortgesetzt – 3. Tabellenplatz mit Quotientenregelung (2,00 / Tore 31:23) (Schleiz steigt als Zweiter aufgrund des besseren Torverhältnis in die Verbandsliga auf 2,00 / 40:19)
2020/2021 - 1. Spieltag (6.9.2020) bis 7. Spieltag (31.10.2020 in Niederpöllnitz 0:3) -
nach 6 Spielen 2. Tabellenplatz 14 Punkte hinter Lobenstein (17 Punkte 7 Spiele) - ohne Wertung
2021 Thüringenpokal (2020/21): 20.6.2021 SC 03 Weimar 6:0, 23.6.2021 Struth 2:1 n.V., 27.6.2021 Halbfinale: FC Carl Zeiss Jena 0:4
2021-2022 Saisonstart Pokal Qualirunde in Teichel 0:1, 1. Hauptrunde in Moßbach 2:1; Start Hinrunde 14.8.2021, nach 11. Spieltag (7.11. bei Schott Jena II 3:1 verloren) wurde die Saison unterbrochen, ab 19.3.2022 fortgesetzt mit dem 12. Spieltag FCS - SV Jena Zwätzen 2:3
Quellen:
1) Harald Mittelsdorf: Die Geschichte des Vereins für Leibesübungen. Band 1 1906-1945, S. 37 ff.
2) Harald Mittelsdorf: Die Geschichte des Vereins für Leibesübungen. Band 1 1945-2000 S. 11 ff.
3) Mona Förtsch und Felix Rösel: Aktuelle Forschungsergebnisse. Die Spanische Grippe forderte 1918 in Deutschland 260000 Tote. ifo Dresden berichtet 2021, S. 8
4) Sebastian Schneider: Spanische Grippe 1918 in Berlin. Das große Sterben. rbb/24 02.05.2020
5) Martin Krauss: Fußball während der Pandemie 1918/19: Krieg, Kaisersturz und Kickerei. TAZ 16.5.2020
6) Harald Mittelsdorf: Die Geschichte des Vereins für Leibesübungen. Band 1 1906-1945, S. 39 ff.
7) Hongkong-Grippe – Wikipedia
8) Torsten Harmsen: Ihrer Zeit weit voraus. Berliner Zeitung · Nummer 94 · 22. April 2020
9) Robert Koch-Institut: COVID-19-Dashboard. Landkreis Saalfeld-Rudolstadt - Todesfälle gesamt Stand 08.04.2022
Bild-Quelle: FC Saalfeld Vereinsarchiv / Uthe
Bildunterschrift:
Der FV Saalfeld 06 zum Osterspiel im letzten Jahr des 1. Weltkrieges am 31. März 1918 gegen den ältesten Leipziger Fußballklub "Lipsia Leipzig" auf dem Sportplatz Eckardtsanger, welches 5:7 verloren ging. Auf dem Foto fehlen Spieler, die in den Jahren zuvor noch für großartige Erfolge standen. Elf Männer verloren ihr Leben im Krieg.
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